Im Zuge der bundesweiten Digitalisierungsmaßnahmen gewinnt die elektronische Rechnungsstellung immer mehr an Bedeutung. Derzeit werden etwa 25% der Rechnungen in Deutschland in elektronischer Form erstellt. Auch wenn dieser Anteil stetig wächst, besteht -im internationalen Vergleich betrachtet- noch gewaltiger Aufholbedarf.
Bereits zum 1. Januar 2020 wurde im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2019 die Steuerbefreiungsvorschrift des § 4 Nr. 29 UStG eingeführt. Dadurch sollte eine Steuerbefreiungsvorschrift für Kostengemeinschaften nach Art. 132 MwStSystRl in nationales Recht umgesetzt werden. Demnach sollen Dienstleistungen von Personenzusammenschlüssen (z.B. Zweckverband) an ihre Mitglieder (z.B. Kommunen) steuerfrei sein, wenn die Mitglieder diese Dienstleistungen unmittelbar zur Ausübung von Tätigkeiten verwenden, die dem Gemeinwohl dienen oder bestimmten Steuerbefreiungstatbeständen unterliegen. Weiterhin darf der Zusammenschluss nur gegen exakte Kostenerstattung tätig sein und es darf keine Wettbewerbsverzerrung vorliegen. In der Praxis wurde die Vorschrift bislang kaum angewandt, da die Tatbestandsvoraussetzungen auslegungsbedürftig sind und die gewünschte Rechtssicherheit ausblieb. Nun hat sich das Bundesministerium mit einem Einführungsschreiben (BMF-Schreiben vom 19. Juli 2022) zu den Inhalten geäussert. In diesem Beitrag wird ausschließlich auf die Auswirkungen bei der öffentlichen Hand eingegangen.
1. Formfreiheit bei der Wahl der Rechtsform
Unter Berücksichtigung der jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften, kann die öffentliche Hand entscheiden, ob Tätigkeiten in der Rechtsform des Privatrechts (z.B. AG, GmbH) erbracht werden oder sich einer juristischen Person des öffentlichen Rechts als Organisationsform bedient wird. Begünstige Personenzusammenschlüsse können insbesondere sein:
- Zweckverbände,
- Anstalten des öffentlichen Rechts mit deren Nutzern,
- gemeinsame Kommunalunternehmen
- Arbeitsgemeinschaften im Bereich des Sozialrechts
Eine wichtige Voraussetzung ist, dass der Personenzusammenschluss ein selbständiger Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG ist und sich mindestens zwei Mitglieder zusammenschließen. Vereinbarungen zur Kostenteilung unter mehreren Unternehmern bzw. Nichtunternehmern (sog. Aufwandpool) genügen nicht.
2. Begünstigte Leistungen des Personenzusammenschlusses
Der gegründete Zusammenschluss kann dann unter den weiteren Voraussetzungen des § 4 Nr. 29 UStG umsatzsteuerfreie Leistungen an die Mitglieder erbringen. Es wird dabei nicht vorausgesetzt, dass der Personenzusammenschluss seine Leistungen ausschließlich an seine Mitglieder erbringen muss. Werden folglich auch Leistungen an Nichtmitglieder erbracht, so kann hier, sofern keine Steuerbefreiungsvorschrift greift, von steuerpflichtigen Leistungen ausgegangen werden, da sich der Personenzusammenschluss nicht auf § 4 Nr. 29 UStG berufen kann. In der Praxis bestehen folgende Möglichkeiten:
- Der Personenzusammenschluss erbringt steuerfreie Leistungen ausschließlich an seine Mitglieder, da die Voraussetzungen des § 4 Nr. 29 UStG kumulativ erfüllt sind.
- Der Personenzusammenschluss erbringt steuerfreie und steuerpflichtige Leistungen ausschließlich an seine Mitglieder, da die Voraussetzungen des § 4 Nr. 29 UStG nur für bestimmte gleichartige Leistungen kumulativ vorliegen. Die anderen steuerpflichtigen Leistungen sind wettbewerbsverzerrend, daher scheidet hier die Anwendung des § 4 Nr. 29 UStG aus. Ein weiterer Steuerbefreiungstatbestand nach § 4 UStG scheidet in diesem Fall aus.
- Der Personenzusammenschluss erbringt steuerfreie Leistungen i.S.d. § 4 Nr. 29 UStG und andere auch steuerfreie Leistungen (z.B. die Inobhutnahme von Kindern nach § 4 Nr. 23/25 UStG) ausschließlich an seine Mitglieder, da die Voraussetzungen des § 4 Nr. 29 UStG nur für bestimmte gleichartige Leistungen kumulativ vorliegen. Die anderen steuerfreien Leistungen (z.B. die Inobhutnahme von Kindern nach § 4 Nr. 23/25 UStG) sind wettbewerbsverzerrend, daher scheidet hier die Anwendung des § 4 Nr. 29 UStG aus. Es greift jedoch eine andere Steuerbefreiungsvorschrift und befreit folglich alle Leistungen von der Umsatzsteuer.
- Der Personenzusammenschluss erbringt Leistungen an Nichtmitglieder. Diese sind nicht nach § 4 Nr. 29 UStG steuerfrei, und somit steuerpflichtig, soweit keine anderweitige Steuerbefreiungsvorschrift des § 4 UStG anwendbar ist.
3. Begünstigte Tätigkeiten der Mitglieder
Bezieht das Mitglied Leistungen des Personenzusammenschlusses so muss es sich um eine Person handeln, die insoweit dem Gemeinwohl dienende nicht steuerbare Leistungen oder steuerfreie Leistungen der in § 4 Nr. 11b, 14 bis 18, 20 bis 25 oder 27 UStG bezeichneten Art erbringt. Zu den dem Gemeinwohl dienenden nicht steuerbaren Leistungen i.S.d. § 4 Nr. 29 UStG gehören unter anderem die nach den §§ 2, 2b UStG nicht unternehmerischen Tätigkeiten der Kommunen, der Länder und des Bundes. Gleiches gilt für Religionsgemeinschaften, insbesondere die Erfüllung des Verkündigungsauftrags.
4. Unmittelbarkeit
Die von einem Personenzusammenschluss an das jeweilige Mitglied erbrachte sonstige Leistung muss beim Mitglied zur Ausführung der begünstigten Zwecke unmittelbar verwendet werden. Nicht begünstigt sind hingegen Tätigkeiten, die lediglich mittelbar der Ausführung von nicht steuerbaren oder steuerfreien Umsätzen der Mitglieder dienen oder von den Mitgliedern für solche bezogen werden (z.B. allgemeine Verwaltungsleistungen). Dies sind beispielsweise:
- Buchführung
- Eingabe und Pflege von Stammdaten/Stammsätzen oder Bestandsdaten
- Tätigkeiten bei Erstellung und Verarbeitung von Rechnungen
- Rechtsberatung
- Tätigkeiten im Supportbereich
- allgemeine Reinigungs- und Verpflegungsleistungen
- allgemeine Aufgaben im Bereich von Organisation, Personalwesen/-gestellung, Vertrieb
- Raumüberlassung
5. Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen
Laut Ausführungen des BMF kann die Befreiung nicht angewandt werden, wenn dadurch anderen Marktteilnehmern, die gleichartige steuerpflichtige Leistungen erbringen, ein Wettbewerbsnachteil entsteht. Die Anwendung scheidet auch dann aus, wenn eine reale Gefahr besteht, dass die Befreiung für sich genommen unmittelbar oder in der Zukunft zu Wettbewerbsverzerrungen führen kann. Indizien für eine zweckwidrige Anwendung der Steuerbefreiung können beispielsweise sein,
- dass der Zusammenschluss unter Ausnutzung von erheblichen Synergieeffekten die gleichen Leistungen in erheblichem Umfang entgeltlich an Nichtmitglieder am Markt erbringt,
- dass die Verlagerung von externen beliebigen, insbesondere nicht auf die Bedürfnisse seiner Mitglieder zugeschnittenen Dienstleistungen auf den Personenzusammenschluss erfolgt, obwohl derartige Leistungen ohne Weiteres auch von anderen Marktteilnehmern angeboten werden könnten oder
- dass bei dem Zusammenschluss im Ergebnis allein die Optimierung der umsatzsteuerlichen Vorbelastungen im Vordergrund steht.
Im Gegensatz zur weiten Auslegung der Wettbewerbsverzerrung des § 2b UStG sollen Wettbewerbsverzerrungen i.S.d. § 4 Nr. 29 UStG jedoch ausdrücklich nicht vorliegen, wenn der Zusammenschluss sich sicher ist bzw. sein kann, dass die Kundschaft seiner Mitglieder unabhängig von jeder Besteuerung oder Befreiung erhalten bleibt. Damit soll die Wettbewerbsklausel restriktiv Ausgelegt werden und nicht sinnwidrig eingeschränkt werden.
Spannend bleibt hier die Dokumentations- bzw. Nachweispflicht, die ebenfalls ohne eine genaue Analyse der objektiven Marktumstände kaum möglich sein wird.
6. Genaue Kostenerstattung
Um in den Genuss der Steuerbefreiung zu kommen, soll das für die Leistung vereinbarte und entrichtete Entgelt lediglich in einem genauen Kostenersatz bestehen. Mit Kostenersatz ist dabei die Abrechnung auf Selbstkostenbasis anteilig auf das jeweilige Mitglied gemeint. Einzubeziehen sind:
- Sachkosten
- Personalkosten
- externe Finanzierungskosten
Dabei kann z.B. jährlich auf der Basis des durchschnittlichen Umsatzes zur Deckung des Finanzbedarfs eine satzungsgemäße Umlage von den Mitgliedern erhoben werden und im Falle eines zu hohen Ansatzes eine satzungsgemäßge Rückzahlung erfolgen. Eine Gewinnerzielungsabsich des Personenzusammenschlusses soll mit dieser Tatbestandsvoraussetzung folglich ausgeschlossen werden.
7. Beschränkung auf das Inland
Mitglieder müssen im Inland ansässig sein. Damit soll missbräuchlichen Gestaltungen entgegengewirkt werden.
8. Beispiel lt. BMF
Werden (z. B. im Bereich der interkommunalen Zusammenarbeit) Tätigkeiten für Infrastruktureinrichtungen, für die Sozial-, Jugend- und Gesundheitsverwaltung oder für den Tourismus auf privatrechtlicher Grundlage auf einen Personenzusammenschluss übertragen, für die die kooperierenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts als Nichtsteuerpflichtige gelten, so sind diese Tätigkeiten unter die Befreiung zu fassen, wenn durch die Art der Aufgabenübertragung und -ausführung eine Wettbewerbsverzerrung ausgeschlossen ist. Dies gilt auch für Personenzusammenschlüsse, die von Hochschulen oder Universitätskliniken gegründet werden.
9. Fazit
Wir begrüßen die Inhalte des BMF-Schreibens, welche nunmehr den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 29 UStG konkretisieren und für mehr Rechtssicherheit sorgen sollen. Doch gerade im Bereich der Besteuerung der öffentlichen Hand und im Hinblick auf die neue Unternehmereigenschaft des § 2b UStG und die damit verbundene Kernfrage der Wettbewerbsverzerrungen bestehen nach wie vor offene Fragen und auslegungsbedürftige Fälle, die auch mit diesem Schreiben nicht geklärt werden können. Werden dabei Leistungen im Hinblick auf die Unternehmereigenschaft oder Steuerbefreiungstatbestände fehlerhaft beurteilt, so kann es hier zu wesentlichen Steuernachforderungen kommen. Das Ziel, dass ein Ausgleich von Wettbewerbsnachteilen zu denjenigen Unternehmen gebildet werden kann, die Leistungen durch eigene Angestellte oder durch eine umsatzsteuerliche Organschaft umsatzsteuerneutral erbringen lassen können, wird nur durch sehr hohe Hürden und unserer Auffassung nach auslegungsbedürftigen Tatbestandsvoraussetzungen im § 4 Nr. 29 UStG erreicht. Offenkundige Gestaltungsabsichten, die z.B. bei der umsatzsteuerlichen Organschaft üblich sind, führen zu einem direkten Ausschluss der Norm. In der Praxis dürfte folglich die Anwendung des § 4 Nr. 29 UStG auch weiterhin (leider) seltener vorkommen.
Wir beraten Sie sehr gerne zur Besteuerung der öffentlichen Hand. Bitte nehmen Sie hierzu Kontakt mit uns auf.